Livestream: Brücken bauen bis hinein ins Feindesland
Foto: © Sebastian Schiller - In einer kurzweiligen DEFA-Komödie aus dem Jahr 1974 spielt sich gleich zu Beginn folgende Szene ab. Aus Dresden kommend halten der Fernfahrer Fred, gespielt von Manfred Krug, und sein Mitfahrer an einer Landstraße, um einen Anhalter nach seinem Ziel zu fragen. Sie hätten ihn wohl mitgenommen, wenn er nicht mit seiner Jacke ein Halteverbotsschild scheinbar absichtlich verdeckt hätte. Wenige Meter hinter der tschechoslowakischen Grenze treffen sie erneut auf den Tramper. Diesmal jedoch mit angeklebtem Bart. Obwohl der DDR-Bürger grundsätzlich Vorbehalte gegen bärtige Menschen habe, erklärt der junge Mann, verhielte sich der DDR-Bürger im Ausland völlig anders und nehme auch Bärtige mit. Die beiden Fernfahrer lassen ihn schließlich mitfahren. Wie sich herausstellt, handelt es sich um einen Philosophie-Studenten.
Man kann, wie in der Komödie geschehen, die genannten Vorbehalte gegenüber bärtigen Menschen zunächst einmal philosophisch betrachten. Mithin sind diese jedoch von sozialpsychologischem Interesse. Von vereinfachten Urteilen ist es nicht weit zu ihrem Gegenteil, den Vorurteilen; von einer Komödie zur gesellschaftlichen Realität. Der ZEIT-Redakteur Bastian Berbner hat ein Buch über Vorurteile geschrieben, aber auch darüber, wie sie sich überwinden lassen. Berbner war am Samstag unser fünfter Gast im Livestream der Finsterwalder Stadtgespräche.
In seinem Buch "180 GRAD: Geschichten gegen den Hass" ordnet er frühere Erlebnisse neu ein und ergänzt sie um weitere Recherchen, Begegnungen sowie zahlreiche Interviews. Kurze Auszüge aus diesen spielte er während des Livestreams ein (mehr unter dem NDR-Podcast "180 Grad"). Er erzählt die Geschichten von einer Hamburger Reihenhaussiedlung und einer dänische Polizeistation. Er trifft Nazis und Islamisten und jene, die sie bekämpfen. Er entdeckt Empathie und Freundlichkeit neben Hass und Ablehnung. All das beschreibt Berbner in seinem Buch mit einer hohen erzählerischen Dichte, eng miteinander verwoben, und mit vielen Beispielen ganz im Stile amerikanischer Sachbücher.
Im Ergebnis findet Berbner ein Grundmuster, welches auf den methodischen Ansatz eines Harvard-Professors zurückgeht. Bereits Anfang der 1950er Jahre hatte der Sozialpsychologe Gordon Allport die sogenannte Kontakthypothese aufgestellt. Vereinfacht besagt diese: Je mehr Kontakt und Nähe bestehen, desto weniger gibt es Vorurteile, desto mehr kann sich Sympathie entwickeln. Berbner hat nun diese Methodik wiederentdeckt, gewissermaßen archäologisch freigelegt. Seine zahlreichen Beispiele im Buch belegen das.
Doch was hindert daran, die Kontakthypothese dauerhaft erfolgreich einzusetzen? Berbner nennt als eine Ursache "Filterblasen". Blasen wie zum Beispiel der Alltag, in dem es sich Menschen bequem eingerichtet haben. Oder die Milieus politischer Parteien, deren Verlassen für einen Politiker schon als "Feindkontakt" ausgelegt werden kann. Darauf zu bauen, dass Menschen hinausgehen, um andere Menschen kennenzulernen und ihnen eine Chance zu geben, wird alleine nicht ausreichen. Berbner fordert daher zusätzlich gesellschaftspolitische Anreize, z.B. durch Schulen, Zivil- oder Wehrdienste. Über eine seiner wesentlichen Schlussfolgerungen sagt Berbner: "Man muss sehen, wie man Rahmenbedingungen so setzen kann, dass tatsächlich Menschen in Kontakt kommen. Wer nur auf Freiwilligkeit setzt, die von innen herauskommt, wird wahrscheinlich nicht weit kommen".
Als ein ganz besonderes Beispiel sieht Berbner die Kraft der Musik. "Vielleicht lohnt es sich, [dem Buch - Anm. d. Verf.] noch ein Kapitel hinzuzufügen, denn die verbindende Kraft der Musik ist teilweise magisch", sagte er am Samstag. Das West-Eastern Divan Orchestra unter Daniel Barenboim steht seit mehr als zwanzig Jahren für ein solches gelungenes Experiment zur Verbindung zwischen Musikern verschiedener Nationen aus dem Nahen Osten. Nassib Ahmadieh, ein in Finsterwalde lebender Cellist und Musikdozent, ist Teil dieses großartigen Orchesters.
Etwa 50 interessierte Zuschauer nahmen an dem Livestream teil. Nächster Gast ist am 19.06. die Geographin und Journalistin Pia Volk. Sie schreibt über eine der deutschen Sehnsüchte, das Reisen. Jedoch nicht in andere Länder, sondern sie bleibt mit ihrem Buch "Deutschlands schrägste Orte" im eigenen Vorgarten.
Schauen Sie sich den aufgezeichneten Livestream mit Bastian Berbner an: mehr »
Man kann, wie in der Komödie geschehen, die genannten Vorbehalte gegenüber bärtigen Menschen zunächst einmal philosophisch betrachten. Mithin sind diese jedoch von sozialpsychologischem Interesse. Von vereinfachten Urteilen ist es nicht weit zu ihrem Gegenteil, den Vorurteilen; von einer Komödie zur gesellschaftlichen Realität. Der ZEIT-Redakteur Bastian Berbner hat ein Buch über Vorurteile geschrieben, aber auch darüber, wie sie sich überwinden lassen. Berbner war am Samstag unser fünfter Gast im Livestream der Finsterwalder Stadtgespräche.
In seinem Buch "180 GRAD: Geschichten gegen den Hass" ordnet er frühere Erlebnisse neu ein und ergänzt sie um weitere Recherchen, Begegnungen sowie zahlreiche Interviews. Kurze Auszüge aus diesen spielte er während des Livestreams ein (mehr unter dem NDR-Podcast "180 Grad"). Er erzählt die Geschichten von einer Hamburger Reihenhaussiedlung und einer dänische Polizeistation. Er trifft Nazis und Islamisten und jene, die sie bekämpfen. Er entdeckt Empathie und Freundlichkeit neben Hass und Ablehnung. All das beschreibt Berbner in seinem Buch mit einer hohen erzählerischen Dichte, eng miteinander verwoben, und mit vielen Beispielen ganz im Stile amerikanischer Sachbücher.
Im Ergebnis findet Berbner ein Grundmuster, welches auf den methodischen Ansatz eines Harvard-Professors zurückgeht. Bereits Anfang der 1950er Jahre hatte der Sozialpsychologe Gordon Allport die sogenannte Kontakthypothese aufgestellt. Vereinfacht besagt diese: Je mehr Kontakt und Nähe bestehen, desto weniger gibt es Vorurteile, desto mehr kann sich Sympathie entwickeln. Berbner hat nun diese Methodik wiederentdeckt, gewissermaßen archäologisch freigelegt. Seine zahlreichen Beispiele im Buch belegen das.
Doch was hindert daran, die Kontakthypothese dauerhaft erfolgreich einzusetzen? Berbner nennt als eine Ursache "Filterblasen". Blasen wie zum Beispiel der Alltag, in dem es sich Menschen bequem eingerichtet haben. Oder die Milieus politischer Parteien, deren Verlassen für einen Politiker schon als "Feindkontakt" ausgelegt werden kann. Darauf zu bauen, dass Menschen hinausgehen, um andere Menschen kennenzulernen und ihnen eine Chance zu geben, wird alleine nicht ausreichen. Berbner fordert daher zusätzlich gesellschaftspolitische Anreize, z.B. durch Schulen, Zivil- oder Wehrdienste. Über eine seiner wesentlichen Schlussfolgerungen sagt Berbner: "Man muss sehen, wie man Rahmenbedingungen so setzen kann, dass tatsächlich Menschen in Kontakt kommen. Wer nur auf Freiwilligkeit setzt, die von innen herauskommt, wird wahrscheinlich nicht weit kommen".
Als ein ganz besonderes Beispiel sieht Berbner die Kraft der Musik. "Vielleicht lohnt es sich, [dem Buch - Anm. d. Verf.] noch ein Kapitel hinzuzufügen, denn die verbindende Kraft der Musik ist teilweise magisch", sagte er am Samstag. Das West-Eastern Divan Orchestra unter Daniel Barenboim steht seit mehr als zwanzig Jahren für ein solches gelungenes Experiment zur Verbindung zwischen Musikern verschiedener Nationen aus dem Nahen Osten. Nassib Ahmadieh, ein in Finsterwalde lebender Cellist und Musikdozent, ist Teil dieses großartigen Orchesters.
Etwa 50 interessierte Zuschauer nahmen an dem Livestream teil. Nächster Gast ist am 19.06. die Geographin und Journalistin Pia Volk. Sie schreibt über eine der deutschen Sehnsüchte, das Reisen. Jedoch nicht in andere Länder, sondern sie bleibt mit ihrem Buch "Deutschlands schrägste Orte" im eigenen Vorgarten.
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